Ein weiterer Wunsch erfüllt


An meinem ersten Tag des Dienstes im Tempel ereignete sich noch ein weiteres denkwürdiges Līlā. Als ich am Abend draußen vor den Mūrtis stand, traf ich ein frisch vermähltes Paar aus Bengalen. Der Name des Mannes war Dīpen Ghoṣa und seine Frau hieß Śubhaśrī.

Der Mann fragte mich: „Ist derjenige mit dem schwarzen Gesicht Jagannātha? Kann Er wirklich Gebete hören und sie beantworten? Vielleicht nicht, denn er ist aus Holz gemacht und hat auch keine Ohren, zu hören. Du als Priester von Jagannātha betrügst nur die Pilger, die von weit her kommen. Dein einziges Interesse besteht bloß darin, in Seinem Namen Geld zu nehmen. Aber Jagannātha antwortet nie auf unsere Gebete.“

Da dies mein erster Tag als Khuntiā im Tempel war, konnte ich nicht verstehen, was Herr Ghoṣa meinte. Voller Emotionen antwortete ich: „Doch, Jagannātha kann hören, wenn Dein Gebet ernsthaft ist.“

Dīpen Ghoṣa war ein wohlhabender Geschäftsmann, der gegenüber den alten Traditionen sehr skeptisch gegenüberstand. Er wies mich sarkastisch zurück: „Ich bin ernsthaft, du aber nicht. Was ist der Nutzen, diesem Holzstück Pūjā und Gebete darzubringen? Der Vater hat seinem Sohn gesagt dies zu tun und der Sohn seinem Sohn, und so weiter. Derjenige, den du Jagannātha nennst, kann dich nie hören.“

Als der Mann unnachgiebig Jagannātha noch mehr herausfordern wollte, ging ich den Hauptpriester, der gerade Śrī Jagannātha mit einer Blumengirlande schmückte, um Rat fragen. Er sagte mir: „Geh zu ihm, und bitte ihn noch einmal für die Candana-Lāgi-Zeremonie von Jagannātha nach Mitternacht vorbeizuschauen. Zu der Zeit wird auf Jagannāthas Stirn lieblich duftendes Sandelholz aufgetragen, bevor Er noch zu Bett geht. Wenn jemand zu dieser bestimmten Zeit zu Śrī Jagannātha betet, wird ihm ganz bestimmt das Gebet beantwortet.“

Als Herr Ghoṣa wieder begann, Śrī Jagannātha mit sarkastischen Bemerkungen und lautem Gelächter zu schmähen, neigte seine Frau im Gebet ihren Kopf. Als er den Tempel verließ, folgte sie im still. Zur Überraschung aller kehrten in derselben Nach Herr Ghoṣa und seine Frau zur Candana-Lāgi-Zeremonie zurück. Er traf mich wieder und stellte mir dieselbe Frage: „Nun denn, ist dies eine gute Zeit für Jagannātha, zuzuhören? Wenn ja, dann würde ich Ihn gerne um etwas bitten.“

Ich fragte Herr Ghoṣa, was er wollte. Er sagte herausfordernd: „Kann Er es mir wirklich geben? Frag Ihn zuerst!“

Ich hatte langsam genug von diesem schwierigen Charakter und antwortete ihm: „Ja, Er wird sie ihnen gewähren. Sagen sie Ihm einfach, was sie wollen.“

Herr Ghoṣa schaute kurz zu seiner schönen, jungen Frau. Ihre Haut war hell, und ihr Gesicht leuchtete wie das einer Göttin. Sie trug einen prunkvollen Vārāṇāsī Seidensārī, mit dem sie zur Hälfte ihr Gesicht bedeckt hielt. Sie schaute wirklich wie eine junge Königin aus. Er liebte sie von ganzem Herzen, hatte aber auch eine tiefe Sehnsucht nach Gott. Halb scherzhaft und halb ernsthaft wandte er sich Śrī Jagannātha zu: „Sag Ihm, mir Befreiung zu gewähren. Sag Ihm, daß ich um Seine Mokṣa bitte.“

Ich ging zum Hauptpriester, der gerade Sandelholzpaste auf Śrī Jagannāthas Stirn auftrug. Es ist ganz natürlich, daß Śrī Jagannātha in einem solchen Augenblick des Genusses in guter Stimmung ist und voller Freude jeglichen Wunsch erfüllt. Ich teilte dem Hauptpriester alle Einzelheiten über den Mann mit, seinen Namen, seinen Geburtsort, den Namen seiner Frau und die Bitte selbst.

Mit tiefer, lauter Stimme, so daß sie auch Herr Ghoṣa hören konnte, bat der Priester Śrī Jagannātha: „O Jagannātha, dieser Mann Dīpen Ghoṣa aus Bengalen bittet Dich, ihm Befreiung zu gewähren. Bitte gewähre sie ihm.“

Ich ging zurück zu Herrn Ghoṣa und sagte ihm, sein Gebet werde erhört.

Herr Ghoṣa entgegnete: „Ha! Diese Holzgottheit hat mein Gebet erhört! Wundervoll! Bitte betrüge mich nicht! Betrüge mich nicht! Denke nicht, daß ich dumm bin, so einfach reingelegt zu werden!“

Einige Monate verstrichen. Ich hatte die Begebenheit schon vergessen, als ich sechs Monate später gerade von der Arbeit an der Schulde zurückkehrte. Sowie ich durch das Osttor des Tempels ging, hörte ich, wie mein Name über die Lautsprecher ausgerufen wurde: „Śrī Somanātha Khuntiā, bitte begeben sie sich zum Informationsschalter. Eine Frau aus Bengalen möchte sie gerne treffen.“

Ich war überrascht. „Welche Frau wollte mich treffen?“ Ich ging geradewegs zum Informationsschalter. Als ich die Frau sah, konnte ich mich nicht erinnern, sie jemals getroffen zu haben, da sie einen weißen Sārī und weder Schminke noch Goldschmuck trug. Sie war eine trauernde Witwe. Mehr konnte ich nicht herauslesen.

Als die Frau mich erblickte, eilte sie zu mir und fiel mir aus Achtung zu einem Tempelpriester zu Füßen. Sie legte auch 101 Rupien zu meinen Füßen. Mit tränenerfüllten Augen sagte sie: „Dein Jagannātha ist sehr groß. Er hört wie ein Mensch zu. Und nun bin ich eine Witwe, da mein junger Mann Dīpen Ghoṣa letzten Monat plötzlich verstorben ist!“ Ich stand nur noch sprachlos da.


Jaya Jagannātha!

Quelle: Khuntia, Somanātha - The Lilas of Lord Jagannatha